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Heute geht es mal wieder um ein Führungsthema. Mit einem Kollegen diskutierte ich darüber, wie stark man darauf achten muss, dass in der Kernarbeitszeit alle Mitarbeiter strikt bei der Arbeit bleiben. Kernarbeitszeit bedeutet erstmal nur Anwesenheitspflicht, aber es ist diskussionswürdig, ob ein Mitarbeiter eine Stunde etwas Privates erledigt. Ich bin da ein wenig liberaler unterwegs, aber die Diskussion brachte mich zum Nachdenken – danke dafür lieber Kollege! :-)
Nehmen wir mal zwei typische Jobs: Ruderer auf einer Galeere und ein freischaffender Künstler.

Und hier die Galeere der Künstler – von Stephan Brusche aka iSteef – mehr davon gibts hier.
Stellen wir uns eine Galeere vor, auf der die Ruderer sich entscheiden erstmal nicht mitzurudern, sondern starrten verträumt aus dem Fenster. Der Trommler und der Mann mit der Peitsche, die sonst darauf achten, dass alle im selben Takt rudern, hatten gerade Urlaub und ihre Vertreter waren zwei freischaffende Künstler. Die zeigten den Ruderern gerade, wie man durch das Betrachten der Wellen auf Ideen für neuartige Ruderschläge kommt. Und so stand der Steuermann müde auf der Brücke und fragte sich, wer das entschieden hatte, denn die die Galeere fuhr seit Stunden im Kreis herum…
Stellen wir uns eine kleine Künstlergruppe auf einem Bauernhof vor. Der Trommler und der Mann mit der Peitsche machen hier Urlaub und können sich an den tollen Bildern nicht satt sehen. Allerdings hatten sie schon alle Bilder durchgeschaut und baten die Künstler neue Bilder zu malen. Um ihnen ein wenig Dampf zu machen, packten sie Ihre Arbeitsgeräte aus und brachten die Künstler dazu, im Takt der Trommeln ein Bild nach dem anderen zu malen. Seltsamerweise sahen die neuen Bilder nicht besonders kreativ aus, sondern waren nur Variationen der bereits gemalten Bilder. Der Trommler fragte sich, was hier denn falsch läuft, denn auf der Galeere führen Trommeln und Peitschen zu hervorragenden Ergebnissen…
Galeeren-Ruderer und Künstler-Kommune – ok, es sind zwei Extreme – unsere Jobs liegen eher dazwischen. Dennoch wird klar: Die Frage nach der Führung ist auch eine Frage danach, was erreicht werden soll – Chef, Team und Ziel müssen zusammenpassen. Es gibt nicht den richtigen Führungsstil und es gibt nicht den perfekten Mitarbeiter. Es hängt vom Ziel ab. Und selbst wenn das Ziel klar ist, hängt es von den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Teams und ebenso von den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Chefs ab, wie das Ziel erreicht wird – und auch ob es überhaupt erreicht werden kann. Dass Ziel, Chef und Team nicht zusammenpassen, überlegen sich beispielsweise die Vorstände der Bundesliga-Clubs mittlerweile monatlich :-)
Je standardisierter ein Prozess abläuft, desto reglementierter KANN ich den Prozess ablaufen lassen, um die Effizienz zu steigern. Das MUSS aber nicht immer „richtig“ sein, denn es sollte klar sein, dass man durch Reglementierung eine Atmosphäre schafft, die die „kreativen Künstler“ einer Firma bestenfalls behindert. Will ich Innovation, dann brauche ich so wenig Regeln wie möglich – den kleinsten gemeinsamen Nenner – damit die Mitarbeiter sich Ihre eigenen Gedanken machen können und keine ANGST haben müssen, vor dem Trommler und der Peitsche. Vertrauen ist hier sehr wichtig, wie es Gerald Hüther schön darstellt (siehe das Video in dem Artikel)
Die Diskussion mit meinem Kollegen drehte sich aber ein wenig im Kreis. Das wurmte mich. Warum fühlte ich mich angestachelt?
Später wurde mir klar, dass wir 3 verschiedene Themen mischten, die erstmal nichts miteinander zu tun haben. Die Trennung entspannt das Ganze:
1. Wir beide sind unterschiedlich
Wir haben verschiedene Stärken und Schwächen und entsprechend führen wir auch unterschiedlich. Und ich bin mir sicher, dass wir uns beide nicht gleich eigenen für verschiedene Ziele. Aber was man NICHT generell sagen kann ist, dass der Weg des einen besser oder schlechter ist. Jeder führt so wie er es KANN (seinen Fähigkeiten nach) und MUSS (seinen Bedürfnissen nach) – wer für welches Team und welches Projekt eingesetzt wird, ist eine andere Frage.
Wir beide müssen nicht einer Meinung sein, wie man RICHTIG führt – das werden wir gar nicht schaffen. Nur an den Stellen, an denen wir zusammenarbeiten MÜSSEN, da müssen wir zumindest einen gemeinsamen Nenner finden, was mich zu Punkt 2 führt:
2. Es gibt einen gemeinsamen Nenner an Regeln, die einzuhalten sind
Ich bin ein Freund weniger Regeln, da auch ich gerne meinem eigenen Tempo folge. Ein Beispiel für sinnvolle Regeln ist in meinen Augen die Kernarbeitszeit (=Anwesenheitszeit), da sie neben allen Freiheiten effektives Zusammenarbeiten erst möglich macht – es gibt einfache immer noch keine besser Kommunikationsmöglichkeit als das direkte Gespräch.
Wie weit man den Arbeitsalltag mit Regeln reglementieren möchte hängt in meinen Augen davon ab, wie innovativ oder standardisiert man das Unternehmen führen möchte.
3. Wer darf wem was sagen?
Der dritte Punkt hat nichts mehr mit Künstler vs. Galeere / Innovation vs. Standard zu tun, sondern steht über beiden. Egal welche Organisation und wieviele Regeln es gibt: Führung ist nur möglich, wenn man auch führen darf – selbst wenn ich als Führungskraft es nicht geschafft habe, dass jeder meiner Mitarbeiter jede Regel einhält, dann muss ich erwarten können, dass mit MIR darüber diskutiert wird und nicht mit meinem Mitarbeiter.1 Vielleicht läuft gar nichts schief, sondern es sieht nur so aus, dass eine Regel nicht eingehalten wird oder es gab einen anderen Grund für mich das so zu entscheiden?
Wenn das Ergebnis stimmt, dann bin ich da gern ein wenig liberaler. Aber Achtung – ich meine damit: Das Ergebnis muss INSGESAMT stimmen: Die regelbiegende Verhaltensweise eines Einzelnen darf keinen negativen Einfluss auf andere haben. Das ist ja der Grund überhaupt Regeln und Gesetze zu erfinden: Was darf ich, ohne den anderen zu schaden bzw. mit welchen Regeln erreichen wir das Beste für alle. Regeln zu hinterfragen und im Sinne des Ziels verantwortungsbewußt auszulegen halte ich für viel sinnvoller als ein lapidares: „Das war schon immer so“ – wenn ich dann falsch entscheide, dann kann ich ruhigen Gewissens sagen: „Ja, ich habe über meine Entscheidung nachgedacht“ und nicht: „Ich hab die Regel befolgt, das Ergebnis war mir egal“.
Aber das ist als Führungskraft auch nicht immer einfach: Man sucht nach dem Gleichgewicht zwischen „Tu was man dir sagt!“ und „Man wird ja wohl erwarten können, dass du mitdenkst!“. An diesem Gleichgewicht arbeitet man mit seinen Mitarbeitern gemeinsam. Man lernt sich kennen und weiss so langsam, an welchen Stellen man nachfragen sollte und wo man die Dinge einfach laufen lassen kann.
Wenn allerdings ein Dritter meine Entscheidungen umgeht, dann wird das Gleichgewicht gestört, dann ist Führung nicht möglich:
Ein Geschäftsführer sagte mir einmal, dass er sich in das gerade offensichtlich gewordene Fehlverhalten eines Entwicklers absichtlich nicht einmischt, sondern nur den direkten Vorgesetzten des Entwicklers anweist sich darum zu kümmern.2
Warum sagte er dem Entwickler nichts? Weil Delegieren sonst unmöglich wird. Würde der Geschäftsführer dem Entwickler Weisungen geben, dann könnte der direkte Vorgesetzte den Entwickler nur noch sehr eingeschränkt führen. Der Vorgesetzte, wie der Entwickler, würden in Zukunft eher auf eine Weisung des Geschäftsführers warten, anstatt selbst etwas zu entscheiden. Und selbst wenn es um Standardisierung durch Regel und Effizienz geht: Auf lange Sicht verlangsamt das alle Prozesse.