Letztes Jahr hatte ich einen Artikel über meine Motivation geschrieben. Sich selbst als Zweck setzen, war mein Ergebnis. Aufmerksam sein, begeistert sein. Kann man nicht immer – klar. Durch Täler muss jeder gehen. Aber wer möchte die Täler schon akzeptieren? Zumindest nicht alle, denn manche wiederholen sich.
Des öfteren stört es mich, dass ich in einen Leerlauf verfalle, sobald ich ein paar Tage frei habe. Ich könnte soviel tun! Malen, schreiben, lesen, weiterbilden… Und die Qual der Wahl blockiert mich, sodass ich gar nicht anfange mit irgendetwas und die Ablenkung suche. Ich gucke einen Film, gehe aus, gehe Radfahren. Hauptsache nicht drüber nachdenken. Wobei Radfahren auch nicht schlecht ist. (zumindest Bewegung :) Es bleibt ein Gefühl des ich-könnte-doch-viel-mehr-machen. Ein unbefriedigendes Gefühl. So unproduktiv.
Produktiv – was für ein Quatsch. Warum muss ich produktiv sein, wenn ich frei habe? Wofür überhaupt?
Durch Zufall kam ich zu dem schönen Buch „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“ von Jorge Bucay. Es ist die Geschichte einer Therapie, in der der Therapeut Geschichten erzählt.
Wie die Geschichte vom Elefant, der sich nicht aus der Gefangenschaft befreit. Er ist mit einem dünnen Seil an einen kleinen Pflock in der Erde gebunden. Leicht könnte er ihn ausreißen, sollte man meinen. Als Baby-Elefant hat er es oft probiert und es nie geschafft. Irgendwann hatte er gelernt, dass es nicht geht und hat es aufgegeben. Er hat es nie wieder probiert…
Es sind gute Geschichten und sie sind in dem Buch schön miteinander verbunden. Ich kann es nur empfehlen.
Letztlich handeln die Geschichten alle davon, die Dinge so zu sehen wie sie sind und zu erkennen, dass wir uns vieles einfach selbst antun. Dass wir Erwartungen an die Welt haben, die wir erfüllt haben wollen, oder an uns, die wir denken erfüllen zu müssen. Was nicht heißt, dass man resignieren soll.
An einer Stelle heißt es, irgendwann haben wir aufgehört zu sagen „Ich bin“ und stattdessen gelernt zu sagen: „Ich sollte sein“.
Die Dinge erstmal sehen, wie sie sind – das hatte ich selbst schon erkannt. Aber was dann? Ok, ich sehe nun wenn es mir schlecht geht. Das zu Beobachten macht es aber noch nicht besser! Was jetzt, Christoph? Sei kein Baby-Elefant!
Das trieb mich an ein paar Ratgeber zu lesen – Lifecoaching nennt man diese Ratgeber heutzutage. Ich war skeptisch. Braucht man sowas? Letztlich werden Ratgeber von Personen geschrieben, die scheinbar keine Probleme haben. Denen geht es ja gut. Die tun was sie wollen und das ist anscheinend auch der Rat dieser Bücher: Tu was du willst, dann geht es dir gut.
Klasse Sache. Na, dann mal los: Ich will jetzt…. schreiben, nein malen, nein , äh… ach, ist doch alles doof… ich guck Fernsehn.
Nein, so geht es nicht.
Aber tatsächlich brachten die Bücher etwas – weniger das Wissen. Ich wusste bereits, ich MUSS nicht produktiv sein. Dennoch fühle ich mich schlecht dabei.
Aber es brachte mich auf Techniken mit Gefühlen und Situationen anders umzugehen.
Aus dem ersten Buch:
1. Wie ich mich in einer Situation fühle, ist MEINE WAHL.
So ein Quatsch, oder? Wenn ich schlecht drauf bin, dann bin ich schlecht drauf. Meine Gefühle haben Ihre Berechtigung!
Den Gedanken hat jeder mal so oder so ähnlich gehört oder ausgesprochen. Nehmen wir mein Beispiel und formulieren das Ganze um:
„Ich bin schlecht drauf, weil ich nicht weiß wie ich meine Zeit verbringen soll“ wird zu:
„Wenn ich nicht weiß wie ich meine Zeit verbringen soll, dann MUSS ich ZWINGEND schlecht drauf sein.“
So formuliert klingt das komplett bescheuert!
Ich muss nicht schlecht drauf sein. Ich kann anders reagieren. Ich kann erstmal akzeptieren, dass ich nicht weiß, was ich tun soll und dann weitersehen!1
Klingt simpel und ist es nicht. Aber allein die Möglichkeit anders zu denken, erlaubte mir den Gedanken ein weiteres Buch zur Hand zu nehmen.
Mindfuck ist eine plakative Bezeichnung für einen Denkfehler. Genauso, wie der Denkfehler „ich MUSS mit schlechten Gefühlen reagieren“, stellt die Autorin Mindfucks zusammen, wie
- der „Regel-Mindfuck“, auch bekannt als: „das haben wir immer schon so gemacht“, oder
- der „Katastrophen-Mindfuck“, der die Welt in düsteren Farben ausmalt, oder
- der „Selbstverleugnungs-Mindfuck“, der mich daran hindert mich selbst zu verwirklichen, weil ich anderes zu erledigen habe usw.
Auch die Autorin kann letztlich nicht mehr sagen als: Gehen Sie dagegen an. und machen sie das, was sie wollen.
Manchmal hilft es schon, die Dinge zu benennen.
2. Wechseln ins Erwachsenen-Ich
Eine Technik, die sie beschreibt, fand ich hilfreich. Ich betrachte meine Reaktionsmöglichkeiten aus drei Perspektiven: Kind-, Eltern- und dem ausbalancierten Erwachsenen-Ich.
Ein Beispiel: Ich lobe jemanden für eine künstlerische Leistung:
- Kind-Ich: „Boah, das ist ja toll, das könnte ich nie!“
- Eltern-Ich: „Na, das hast du ja toll gemacht, da kannst du wirklich stolz auf dich sein, das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
- Erwachsenen-Ich: „Das finde ich super, es freut mich, dass ich das mit dir erleben konnte, dank dir für die Inspiration!“
Das Kind reagiert von unten, die Eltern von oben und nur als Erwachsener sieht man sich auf gleicher Ebene.2
Ein anderes Beispiel: Ich fühle mich von meinem Chef falsch behandelt:
- Kind: „Der ist blöd, der kann mich mal! Ich mach nix mehr für den!“
- Eltern: „Der behandelt mich völlig idiotisch. Ich weiß es besser als er. So einen als Chef zu haben ist wirklich eine Zumutung! Den muss ich mal in seine Schranken weisen.“
- Erwachsener: „Warum hat er das getan? Ich würde wirklich gerne wissen, wie es dazu kam und ob wir das zusammen regeln können. Wenn es kein Missverständnis war, dann muss ich für mich einen Weg finden zu reagieren.“
Man hält sich ja immer für ach-so-erwachsen. Aber wenn ich bevor ich reagiere diese drei Haltungen mal einnehme, dann merke ich vielleicht schneller, aus welcher Perspektive heraus ich gerade handeln WILL.3
Letztlich ist die Technik ähnlich der oberen. Ich erkenne mittels der Erwachsenen-Perspektive, dass ich die Wahl habe und KANN zumindest in eine andere Perspektive wechseln – ob ich es tue, ist noch eine andere Frage.
Durch diese ganze Techniken, lädt man sich ganz schön viel Selbstverantwortung auf – ich bin für meine Gefühle verantwortlich. Das erzeugt schnell die Frage nach der Schuld. Wenn ich nämlich doch nicht aus dem Erwachsenen-Ich heraus agiere, dann bin ich ja selber schuld, dass ich mies drauf bin! Dann muss ich mir Vorwürfe machen.
Aber auch das ist wieder ein Denkfehler: Was sind Schuldgefühle? Schlechte, blockierende Gefühle. Ich KANN mir selbst Vorwürfe machen, aber ich MUSS es nicht.
Fazit
Was bedeutet das Ganze für mein Problem?
Zum einen haben die Autoren natürlich Recht: Man muss in sich gehen und sehen was man wirklich will. Nicht „was will ich genau jetzt“, sondern „was macht mich aus?“. Was bin ich, statt was sollte ich sein? Was ist mein Antrieb hinter dem Schreiben, dem Malen dem Zeichnen? Warum habe ich damit überhaupt mal angefangen? Wenn man das wieder klar sieht, fällt es leicht sich zu entscheiden und vielleicht noch einiges mehr zu ändern.
Zum zweiten: Während des Lesens dieser Ratgeber fiel mir auf, dass ich bereits das tue, was ich mir als Ziel gesetzt hatte. Beim Lesen der Ratgeber ging es mir um MICH. Während ich mir vorwarf nichts Produktives zu machen, tat ich bereits etwas! Nicht Produktiv im Sinne von „Arbeit, die ich anderen zeigen kann“, oder etwas für das ich ein Lob abholen kann. Aber etwas, dass mich weiterbringt und darum geht’s doch, oder?
Nichts lag also näher als genau darüber zu schreiben.
Vielleicht sollte man öfter mal in so einen Ratgeber gucken – allein um zu erkennen, dass man sie gar nicht braucht. ;-)
- In dem Buch ging es mehr darum, wie ich auf ‚vermeintliche‘ Verletzungen durch andere reagiere. Jeder weiß ja, dass es besser wäre, ruhig und besonnen zu reagieren. Das geht aber nicht, wenn die anderen sich so doof verhalten, und außerdem: So bin ich nun mal! Richtig?
Wenn ich allerdings erstmal erkenne, dass ich nicht mit Wut reagieren MUSS (aber darf), dann kann ich weitergehen:
- Ich erkenne, dass mich schlechte Gefühle blockieren.
- Ich erkenne, dass mein Ziel ist MICH glücklich zu machen, mich gut zu fühlen.
- Wenn ich mich gut fühle, dann habe ich viel mehr Möglichkeiten, bin neugierig und gespannt auf das was passiert.
- Wenn ich mich falsch behandelt fühle, schaffe ich es nicht mit schlechten Gefühlen mein Gegenüber dazu zu bringen anders zu handeln.
- Wer mir tatsächlich weh tun will, dem tut was weh. Wer mies zu mir ist, dem geht es auch nicht gut, der ist durch seine schlechten Gefühle blockiert.
- Wenn ich das erkenne, dann ist es einfacher mit dem anderen umzugehen, vielleicht sogar Mitgefühl zu empfinden.
- Desweiteren stellt der Autor fest, dass die Gefühle, die ich in einem anderen Hervorrufen möchte – wenn ich ihn bspw. bestrafen will oder in wütend machen möchte – ich diese dann auch empfinde, also auch schlecht drauf und damit blockiert bin. Wie kann ich glücklich sein, wenn ich den anderen bestrafen möchte?
- Am Ende steht die Schlussfolgerung, den anderen Gutes zu wünschen. Nicht weil die anderen es erwidern könnten, sondern weil ich mich durch den Wunsch schon gut fühle. Und gute Gefühle sind einfach gut für mich.
Schon bemerkenswert, wie man am Ende zu solchen „Jesus-Formeln“ kommt. Aber das Spannende ist, dass es nicht aus einem DU SOLLST (andere lieben) heraus passiert, sondern einem ICH WILL (mich lieben).
Also nicht der Befehl: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, sondern eher ein Wegweiser: „Der einfachste Weg dich selbst zu lieben, ist deinen Nächsten zu lieben“. [↩]
- Die Erwachsenen-Formulierung klingt in meinen Ohren manchmal nach Hippie oder Jesus-Latschen-Philosophie: „Peace, Bruder“. Als müsse man immer so besonnen reagieren, als würde man sich selbst nicht erlauben sich auch mal aufzuregen. Aber das ist ja der Punkt: Alle drei Perspektiven sind erlaubt. Die Technik hilft einem aber erstmal zu verstehen, dass man wählen kann. Darum geht es. [↩]
- Klingt auch ein wenig nach Freud nicht wahr? Es, Über-Ich und Ich. Na, Hauptsache es hilft. [↩]
[…] Immer wieder schreib ich einfach nur darüber, wie ich mir das Leben erkläre oder ich mir das Leben erklären lasse.. […]