Tags

, ,

Den letzten Artikel möchte ich noch ein wenig vertiefen. Alles ein wenig abstrakt – vielleicht fällt mir noch ein wie ich das im Nachgang noch ein wenig auflockern kann  – vielleicht mit Bildern? Anekdoten? Mal sehen. Aber jetzt erstmal weiter.

Im letzten Artikel ging es darum, wie wir Worte zur Orientierung unserer Gedanken nutzen. Erzähle ich jemandem etwas, dann kann er mich verstehen oder auch nicht. Wenn ich jemandem erkläre, er soll mir einen Stuhl bringen, aber er derjenige kommt aus einem Stuhl-losen Land, dann versteht er mich nicht. Ein Wort, ein Begriff braucht immer eine Anschauung. Begriffe ohne Anschauung sind leer.

Versteht mich der andere nicht, dann muss ich den Begriff umschreiben – andere Worte nutzen. Ich muss den anderen irgendwie anders orientieren.

Versteht mich der andere allerdings, dann haben wir beide anscheinend das gleiche Verständnis. Wir meinen dasselbe Ding. Aber kann man das wirklich erreichen? Meinen wir wirklich dasselbe?

Ich mache mir meine Worte selber

Man weiß nie genau was der andere wirklich denkt, wie er sich einen Begriff denkt oder ob er meine Anweisungen verstanden hat. Aber solange es funktioniert, also so lange ich an seinen Taten abmessen kann, dass er das tut was ich erwarte, gehe ich davon aus, dass wir wirklich dasselbe meinen. Und das kennt jeder: Oft genug merkt man erst später, dass es nur so schien…

Nach dem Konstruktivismus baut sich jeder seine eigene Welt (in seinem Kopf) – sein Verständnis der Dinge, der Begriffe, der Worte ist nur in ihm und kann immer leicht variieren. In einer Gemeinschaft bilden wir dann Konventionen über die Worte und in 95% der Fälle klappt das auch alles sehr gut und wir verstehen uns alle prima. Am Besten klappt das mit Menschen, die einen ähnlichen Background haben, die gleiche Sprache sprechen, ähnliche Schulen besuchten usw. 

Der Konstruktivismus klingt für manche ein wenig gesponnen, denn die Dinge sind ja da, egal ob ich ein Wort für sie habe oder nicht. Nun, allein schon über das „DA-Sein“ kann man geteilter Meinung sein – zumindest hat bisher niemand bewiesen, dass die Welt und die Dinge wirklich da sind, und es ist auch sehr fraglich wie man das machen könnte – aber es gibt gute Gründe davon auszugehen, dass die Welt da ist. Allein schon, weil es sonst alles keinen Spaß machen würde :-)

Alles ist elektrisch

Also nehmen wir an es gibt die Welt. Dennoch sind die Dinge auch nicht so, wie sie uns erscheinen. Ich meine nicht Optische Täuschungen oder den „Sandhaufen“ aus dem letzten Artikel. Ich meine das Grundlegender:

Wie nehmen wir die Welt denn wahr? Durch Reizungen unserer Nerven. Eine Augenzelle erzeugt einen elektrischen Impuls, wenn sie gereizt wird. Eine Ohrzelle ebenso. Auch die Hautzellen erzeugt elektrische Impulse, wenn es heiß oder kalt ist oder wenn es wehtut. Und das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Es kommen nur elektrische Impulse in unserem Gehirn an – auch von der Zunge. Wie kann man da noch sagen, dass die Welt so ist wie wir sie wahrnehmen, wenn doch alles nur kleine elektrische Ströme sind, die irgendwie in unser Hirn fließen.

Das Hirn entscheidet je nachdem woher der Impuls kommt, wie es diesen verwertet – was es wahrnimmt bzw. für wahr-nimmt. Viele Dinge sind hart verdrahtet. Ich kann mir bspw. grün nicht anders erscheinen lassen. Anderes setze ich mir aber zusammen, bezeichne es als Ding und nutze dann ein Wort dafür. Im Alltag ist es meist einfach, wie bei Freunden und anderen Personen, aber andere Dinge sind fließend: wo fängt das Meer an und wo hört der Fluss auf? Oder auch: Ab der wie vielten Schwangerschaftswoche ist der Embryo eine Person?

Worte sind eben einfach nur nützlich. Aber darüber zu streiten wann welches Wort „in Wahrheit“ passt, ist es nicht. Bei der Schwangerschaftsthematik gibt es daher auch nicht die einzig wahre Lösung. Die Dinge sind eben fließend, aber ein Wort ist immer eine Entscheidung. Eine Entscheidung etwas überhaupt zu bezeichnen und eine Entscheidung etwas so oder so zu bezeichnen: Embryo oder Person.

Eine Zahl ist eine Zahl ist eine Zahl

Dennoch scheint es auch Worte oder Begriffe zu geben, die unabhängig von Entscheidungen existieren wie und ob ich überhaupt etwas irgendwie benennen will. Was ist zum Beispiel mit Zahlen. Existieren Zahlen und die Mathematik nicht auch ohne den Menschen? Mathematische Regeln haben doch immer Ihre Richtigkeit – da muss ich mich nicht entscheiden.

Wenn ein Baum umfällt aber keiner da ist: Gibt es dann dennoch ein Geräusch? Existiert ein Geräusch wenn keiner hinhört? Ich denke nein – zumindest so wie ich das Wort „Geräusch“ verstehe: Geräusch bedeutet auch Wahrnehmung. Das Wort setzt einen Hinhörenden voraus. Jetzt mal stark angenommen es gibt die Welt um mich herum, dann mag es Schallwellen geben wenn keiner hinhört. Aber das Wort ist eigentlich auch schon zu „hinhörerisch“. Vielleicht sollte man eher sagen, dass es auch ohne Hinhörer Moleküle gibt, die mit 300 Meter pro Sekunde wellenartig gegen einander prallen. Aber gibt es ein Geräusch?

Ich finde mit den Zahlen ist es ähnlich. Sie müssen gedacht werden, damit sie „da“ sind. Unabhängig von einem Denkenden gibt es sie nicht. Es gibt Dinge, die man zählen könnte, so wie es Dinge gibt, die man hören könnte. Aber es gibt auch keinen Verkehr ohne Autos. Ohne Verkehr-Erzeugende gibt es keinen Verkehr – Ohne Mathematik-Betreibende gibt es keine Mathematik. Auch ein Buch enthält keine Informationen, wenn es keinen gibt der sie liest und verarbeitet.

Heinz von Förster hat es mal sehr schön so oder so ähnlich gesagt:
Ein Buch stellt keine Aufbewahrung von Information dar – genauso wenig wie eine Garage eine Aufbewahrung von Verkehr ist.

Aber wir postulieren solche von uns unabhängigen Begriffe wie Zahlen, damit wir überhaupt das gleiche – oder dasselbe – meinen können. Und nicht nur bei Zahlen. Auch wenn wir von einem Stuhl, einem Freund, einem Einhorn, von Liebe oder von Demokratie sprechen, dann muss ich davon ausgehen, dass es solche von mir unabhängigen Begriffe gibt. Denn wie könnten wir sonst je dasselbe meinen. Es gibt Demokratie, es gibt die Liebe, es gibt die Zahlen.

Und dennoch gibt es sie eben nicht. Es gibt nur die Worte und wie wir uns damit orientieren. Genauso, wie es in der Matrix hieß:
Liebe ist nur ein Wort. Es kommt dar­auf an, was du dar­aus machst.

Das klingt paradox: Erst gibt es die Dinge so wie ich sie bezeichne und dann gibt sie doch nicht. Aber eigentlich ist es ganz einfach. Es gibt eben mehrere Ebenen. Auf der einen Ebene gibt es die Begriffe – auf der sind wir meistens. Auf der anderen Ebene weiß ich, dass ich die Begriffe nur erfinde.

Es kommt nur darauf an im richtigen Augenblick auf der richtigen Ebene zu sein. Sonst landet man in Paradoxien, wie im letzten Artikel oder streitet sich beispielsweise darüber was eigentlich Kunst ist.

Welches ist jetzt das richtige Schiff des Theseus? Es gibt mindestens 2 Meinungen darüber und keine „absolut richtige“. Wenn es aber mal nur eine Meinung gibt, dann sind wir uns sicher, dass diese Wahrheit auch unabhängig von einem „Meinungsmacher „existiert.

So ist es auch bei den Zahlen und der Mathematik:
Je abstrakter ein Begriff ist, desto wirklicher scheint er paradoxerweise zu sein.