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Denke nicht an einen rosa Elefanten. Dieser Satz macht besonders deutlich, wie stark Worte unsere Gedanken orientieren. Wie könnte ich jetzt nicht daran denken? Jedes Wort das wir wahrnehmen orientiert unsere Gedanken. Ob wir wollen oder nicht.

Fragt euch mal ab wie vielen Körnern ein Sandhaufen ein Sandhaufen ist. Ein Sandkorn alleine reicht sicher nicht. Aber zwei? Oder schon ab drei? Hier eine gültige Definition zu finden – darüber haben sich schon viele schlaue Menschen den Kopf zerbrochen. Aber macht das überhaupt Sinn? Oder nutzen wir das Wort „Haufen“ eben nur zur Orientierung?

Wann ist ein Schiff ein Stuhl?

Das Schiff des Theseus – nennen wir es die Plutarch – ist so ein (Wort-) Definitionsproblem. In der Geschichte geht es darum, dass das gesamte Schiff nach und nach durch neue Bretter und Planken ersetzt wird. Ist es am Ende noch das gleiche Schiff? Und dann sammelt auch noch jemand die ganzen Originalteile ein und baut daraus die Plutarch nach – welches ist jetzt das echte Schiff?

Wem solche Gedankenspiele zu antik sind, der kann auch mal über den einfachen Fertigungsprozess eines Stuhls nachdenken. Der Tischler schnitzt (oder kauft) die Einzelteile und hat dann alle Holzteile beieinander, die mal Lehne, Sitzfläche und Stuhlbeine werden sollen. Ab wann ist nun der Stuhl eigentlich ein Stuhl? Wenn das letzte Teil montiert wurde? Oder schon vorher, wenn schon alles stabil ist und nur der Tischler meint hier und da noch einen Nagel hinzuzufügen, oder noch etwas schleifen zu müssen? Was wenn er zu dem wackligen Ding sagt: „Das ist nichts geworden.“ und den Nicht-Stuhl wegschmeißt. War es dann mal ein Stuhl obwohl der Tischler das anders sieht?

Wem das alles zu weit hergeholt ist, dem mag ich Recht geben: Es ist einfach nicht zweckmäßig solche Definitionen zu suchen. Die Worte sind nur Orientierungshilfen. Ich nenne den Stuhl „Stuhl“, wenn ich sitzen möchte und mich frage: „Wo ist denn hier ein Stuhl“ oder wenn ich jemand sagen möchte „Gib mir mal den Stuhl!“ Wie der Tischler das Ding nennt ist mir ziemlich egal.

Meiner Meinung nach nutzen wir die Worte nur um andere oder uns auf etwas hinzuweisen – uns (selbst oder gegenseitig) zu orientieren.

Wahr ist das was nützlich ist

Wenn man es so versteht, dann wird auch das Paradox um den Sandhaufen oder das Schiff des Theseus hinfällig. Für die Original-Besatzung ist das Schiff auf dem sie sich befinden die „Plutarch“. Es ist eine Frage des Konsens und der Konvention: „Ich bin Matrose auf diesem Schiff und hier ist auch mein Kapitän, der mir sagt was zu tun ist – der mich orientiert. Und wenn er und alle anderen Matrosen der Meinung sind, dass das hier das richtige Schiff ist, dann ist das so.“

Es gibt also nicht das eine wahre Schiff. Wahr ist das was nützlich ist – für den Matrosen und für den Kapitän. Für die Besatzung des anderen Schiffs sieht das natürlich genauso aus, und damit ist auch recht klar, dass ein Streit über die einzig wahre Religion das einzig wahre Schiff unsinnig ist.

Dieser Artikel ist ein erster Ausflug in die Welt des Konstruktivismus, der mich schon lange begeistert. Für mich ist es eine Geisteshaltung, die mir hilft die Dinge zu verstehen und zwar aus verschiedensten Perspektiven. Denn der Konstruktivismus lehrt, dass nicht nur eine Wahrheit oder Wirklichkeit gibt, denn jeder baut sich seine Wirklichkeit selbst.

Aus der Idee des Konstruktivismus ergeben sich zwei Konsequenzen. Erstens die Toleranz für die Wirklichkeiten anderer – denn dann haben die Wirklichkeiten anderer genauso viel Berechtigung als meine eigene. Zweitens ein Gefühl der absoluten Verantwortlichkeit. Denn wenn ich glaube, dass ich meine eigene Wirklichkeit herstelle, bin ich für diese Wirklichkeit verantwortlich, kann ich sie nicht jemandem anderen in die Schuhe schieben.


Paul Watzlawick im Buch „Die Unsicherheit unserer Wirklichkeit“ (1982) auf Seite 31